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Gewalt gegen Kinder

Beate Weymann-Reichardt


Folgende Fragen stellen sich:
  1. Was ist genau mit Gewalt gemeint?
  2. Gibt es nur die körperliche Gewalt?
  3. Ist Isolation, Ablehnung, Kränkung, Demütigung auch eine Form der Gewalt?
  4. Weshalb kommt es zur Gewalt gegenüber Kindern?
  5. Was kann man tun, um die Gewalt einzudämmen?

Formen der Gewalt

Körperliche Misshandlung

Sie bezeichnet alle Formen körperlicher Gewalt gegen Kinder, die als Folge körperliche Verletzungen nach sich ziehen (können). Die Misshandlung wird mit Absicht ausgeführt oder in Kauf genommen, obwohl ernsthafte körperliche Verletzungen oder seelische Wunden entstehen können. Beispiel: Schütteln, Schlagen, Stoßen, Würgen.

Psychische Misshandlung

Beschreibt ein Verhalten, wo der Erwachsene dem Kind gegenüber feindlich und abweisend gegenüber tritt. Ablehnung, Herabsetzung, Schweigen, Kränkung, Isolation (Einsperren), Ignorieren, demütigendes Schimpfen, permanente Demütigung (womöglich noch vor anderen; und andere werden als Vorbild hingestellt) und Angstmachen (mit dem schwarzen Mann drohen, der Polizei, dem Heim, dem Zauberer, dem dunklen Keller, dass man das Kind nicht mehr lieb hat bei Fehlverhalten usw.) fallen hierunter. Kinder sind nicht in der Lage, abzuschätzen wie realitätsnah solche Figuren sind.

Isolation

Bedeutet, dass die Kinder von der Außenwelt abgeschottet werden. Aus Angst, dass etwas passieren könnte, wird dem Kind nicht erlaubt, mit anderen Kindern (draußen) zu spielen (ängstliches Überbehüten). Kinder benötigen aber für eine gute emotionale und seelische Entwicklung diese Kontakte!

Geborgenheit, Zuwendung und Liebe fehlen, Trost wird verwehrt. Nichts verletzt die Kinderseele so stark wie kaltes Ablehnen, Abwehr, Abwertung und Zurückweisen. Die seelische Misshandlung bei Kindern ist nicht leicht zu ersehen, da man keine körperlich sichtbaren Spuren findet.

Beispiel: Der 8-jährige Tobias hat seinen Klassenkameraden Lukas zu sich nach Hause eingeladen. Sie wollen zusammen Hausaufgaben machen, anschließend mit der Eisenbahn spielen. Die Mutter sagt zu Lukas, als der in die Wohnung tritt: "Du bist also der Lukas? Ich habe schon viel von dir gehört. Du sollst ja spitzenmäßig in der Schule sein. Ich würde mich auch freuen, wenn mein Sohn so gut wäre. Leider ist er meist unkonzentriert. Er kapiert halt alles nicht so schnell. Außerdem ist er immer so ungeschickt: Heute z.B. hat er die Schüssel mit den Nudeln runterfallen lassen. Das war vielleicht ärgerlich! Passiert dir auch so etwas? Kaum? Na, das dachte ich mir! Du kannst auch wunderbar Gitarre spielen? Tja, Tobias ist leider, leider gänzlich uninteressiert an Musik."

Lukas fällt an diesem Tag auf, wie unsicher Tobias sich doch benimmt. Er löst seine Hausaufgaben gar nicht ungeschickt - aber diese Ängstlichkeit... Ihm scheint es peinlich zu sein, was seine Mutter erzählt. Überhaupt ist in dieser Familie eine komische Stimmung. Und so ist er froh, als er wieder bei seiner Familie abends ist.

Manchmal ist es so, dass dieses negative Verhalten Teil des Familienklimas ist, dass also grundsätzlich so ein kaltes Klima herrscht. Dann fehlt den Kindern auf Dauer Zuwendung, Zärtlichkeit, Sicherheit, ohne dass die Eltern dieses merken (und auch nicht erkennen, was sie damit anrichten). Das Gefühl, mit Ignoranz behandelt zu werden, ist eine sehr große Qual für Kinder. Hier gibt es kein Schimpfen oder Schreien. Es ist ein Zustand, in dem sie nichts wiedergespiegelt bekommen: kein Loben oder Kritisieren, kein Mitempfinden von Freude oder Leid, kein Zuhören, aufmerksames Beobachten, einfach nichts. Seelisch sind die Eltern nicht bei den Kindern, nehmen keinen Anteil. Die Seele verkümmert. Dieses geschieht in den Familien, in denen die Erwachsenen vollauf mit sich selbst beschäftigt sind. Kinder erhalten keine Aufmerksamkeit.

Passive Gewalt

Sie herrscht, wenn sich die Eltern streiten, eifersüchtig verhalten, prügeln, Alkoholprobleme haben. Wenn Kinder dieses permanent miterleben müssen, fühlen sie sich seelisch in Mitleidenschaft gezogen. Extreme Angst, Panik kann entstehen, wenn ihnen niemand erklärt, um was es geht.

Vernachlässigung

Beschreibt einen Zustand, in dem den kindlichen Bedürfnisse (Ernährung, Pflege, Fürsorge, Geborgenheit, Anregung und Abwechslung) nicht oder nicht genügend nachgekommen wird. Dieses kann aus Unkenntnis oder aus Absicht erfolgen. Die dadurch ausgelöste Unterversorgung des Kindes führt zu einer Beeinträchtigung und Schädigung seiner Entwicklung. Der Tod kann dabei heraufbeschworen werden.

Beispiele: Kinder in einer Wohnung sich selbst überlassen, keine ausreichende Nahrung, Kleidung bereitstellen; das Kind auf die Straße laufen lassen; kleine Kinder in die Obhut von wenig älteren Geschwistern begeben; das verletzte Kind nicht zum Arzt bringen (zu spät den Arzt aufsuchen); das Kind vor die Tür stellen in der Nacht; es am See, am Fluss alleine spielen lassen usw.

Sexueller Missbrauch und sexuelle Gewalt

Bedeutet, dass Erwachsene Kinder benutzen, um sich sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Sei es, dass sexuelle Handlungen am oder vor dem Kind vorgenommen werden, oder aber an sich ausführen lassen.

Die Unwissenheit des Kindes aufgrund seines Alters und seines Entwicklungsstandes wird dabei ausgenutzt. Der Täter versucht sich Bedürfnisse nach Macht, Intimität und Erregung auf diese Art und Weise zu erfüllen.

Sexueller Missbrauch wird geplant und geschieht somit nicht spontan. Mädchen sind weitaus mehr davon betroffen als Jungen. Sexueller Missbrauch stellt die fatalste Art körperlicher und psychischer Gewalt dar.

Es ist ein Ammenmärchen, dass hier in erster Linie fremde Personen sich schuldig machen; vielmehr sind es nahe Verwandte (Vater, Bruder, Onkel, Nachbar, Lehrer, Erzieher, Pastor), die dem Kind in unerlaubter Weise nahe treten. Das Ausnutzen einer Vertrauensstellung wird hier ersichtlich. Die immense Abhängigkeit des Kindes von seiner Familie verleiht dem Ganzen das noch zusätzlich Tragische.

Die Statistik des Deutschen Kinderschutzzentrums zeigt: 53% der Täter sind Väter, 16% Stiefväter u.ä., 6% ältere Brüder, 5% Onkel, 3% Großväter, 10% Nachbarn oder Freunde; 6% Lehrer, Erzieher, Ärzte. Lediglich in 1% der Fälle kannte das Opfer den Täter nicht gut.

In Deutschland geht man von 300 000 Opfern pro Jahr aus. Mädchen werden fast nur in der Familie missbraucht, Knaben eher im näheren Bekanntenkreis. In 90% der Fälle waren die Täter männlichen Geschlechts. Sexueller Missbrauch kommt in allen Gesellschaftsschichten vor. Missbrauchstäter sind recht selten geistig gestört oder offensichtlich geisteskrank.

Es existiert ein einheitliches Täterbild: Eher angepasste, durchschnittliche Typen auf den ersten Blick. Das einzige, was bei allen auffällt, ist die sexistische Grundhaltung und die Auffassung, dass Männer gegenüber den Frauen das Sagen haben (sollten).

Eine schleichende Entwicklung hinsichtlich des Missbrauchs ist meist gegeben: Stufe für Stufe tastet sich der Täter im wahrsten Sinne des Wortes vor (hastige Berührung, dann aber regelmäßiger, streicheln, Oralsex, weniger Geschlechtsverkehr).

Die Notwendigkeit, körperliche Kontakte zum richtigen Zeitpunkt zu beenden, scheint für viele Erwachsene, v.a. Männer, ein Problem zu sein. Alle Kinder benötigen körperlichen Kontakt zu den Eltern, wollen in den Arm genommen werden, wünschen Streicheleinheiten und Schmusen - das Kind ist aber nie am Erwachsenen sexuell interessiert! Sexualtäter sind emotional überwiegend von Unreife gekennzeichnet, besitzen sexuelle Versagensängste. Sie interpretieren das Interesse des Kindes nach Zärtlichkeit und Zuwendung in ihrem Sinne als Wunsch nach sexuellen Kontakten. Dadurch versuchen sie sich zu rechtfertigen. Bei ihnen herrscht die Meinung, dass sie zu sexuellen Handlungen provoziert oder sogar aufgefordert wurden.

Die Grenze ist in dem Augenblick überschritten, wo das Kind dazu benutzt wird, die Bedürfnisse des Erwachsenen zu befriedigen und die Intimgrenzen des Kindes aufgeweicht werden. Missbrauch fängt dort an, wo die Schamgrenzen des Kindes mehrfach gegen dessen Widerstand eingerissen werden. Die Schamgrenze, die jedes Kind durch Gesten, Blicke, Worte und Taten deutlich macht, ist unmissverständlich. Diese gilt es unter allen Umständen einzuhalten. Der Wille und die Würde des Kindes sind unantastbar. Genaue Beobachtung des Kindes kann Aufschluss darüber geben, ob ein Missbrauch vorliegt oder nicht. Beispiel: Wie verhält sich das Kind, wenn ein Besuch von Person xy (die verdächtigt wird) angekündigt wird? Kann das Kind der Person in die Augen sehen? Möchte es die Person sehen oder widerstrebt es ihr, sie aufzusuchen? Beispiel: Das ältere Kind möchte sich nicht mehr nackt den Eltern zeigen. Dieses jetzt zu erzwingen, stellt den Anfang dar.

Genauso verhält es sich mit der Autonomie und der Integrität: Beispiel: Man darf ein Kind nicht zwingen, Verwandte usw. (für ein erhaltenes Geschenk) zu küssen. Kinder empfinden ein unangenehmes Gefühl und starke Abwehr, die sich dann hoffentlich auch sprachlich in einem "Nein" ausdrückt.

Blindheit für die Folgen ihres Tuns ist feststellbar. Fast alle sind keine Einzel-, sondern Serientäter. Niemand kann ein Kind aus Versehen missbrauchen. Täter kennen ihre Opfer in ihren Lebensgewohnheiten sehr genau und versuchen geschickt ihre Tätigkeiten zu verbergen. Auch das unter Druck setzen wird meistens praktiziert (Geheimhaltungsgebot). Drohungen führen dazu, dass Kinder sprachlos werden. Sie sind gefangen in dem sehr widersprüchlichen Gefühlschaos: sie mögen ihren Vater, hassen aber sein Verhalten. Die Not wird deshalb vielfach verschlüsselt dargestellt: Sie sprechen in Bildern, durch Zeichnungen, oder durch Körpersprache.

Das Vertrauen des Kindes in seine Umgebung, seine Vertrauenspersonen wird nachhaltig und tiefgehend erschüttert. Es erlebt, dass Nähe und Vertrauen es in eine gefährliche Situation bringen. Kinder fürchten die Zuneigung zu verlieren, wenn sie sich gegen diese Aktivitäten wehren. Zu Anfang können sie nicht "Nein" sagen, später sagen die Täter dann: "Du hast es gewollt, hast mitgemacht!".

Das Schuldgefühl wird umso stärker, je länger der Missbrauch stattgefunden hat. Schamgefühle, Gewissensbisse, Scham, Ekel vor sich selbst und anderen sind oftmals ein ganzes Leben lang präsent. Manchmal entwickelt sich ein Waschzwang, Hautallergien, Schluckbeschwerden, Übelkeit oder Brechreiz, dauerndes Husten etc.

Der Wille des missbrauchten Kindes wurde gebrochen. Sie konnten es nicht verhindern und sehen nun als Überlebensstrategie ihren eigenen Körper als etwas Fremdes an.

Angst ist ein ständiger Begleiter dieser Kinder: sowohl vor Übergriffen als auch vor dem Bekanntwerden. Schlafstörungen, übermäßiges Schwitzen und Alpträume kann man als Symptome finden. Ängstlichkeit, Rückzugstendenzen, Leistungsabfall, Schulprobleme, Konzentrationsschwäche (sie konzentrieren sich innerlich fast nur auf ihre alptraumhafte Erfahrung), Stimmungsschwankungen, Aggressivität, Ruhelosigkeit und Nervosität, Vermeidungsverhalten, sexualisiertes Verhalten oder eigene Gewalttätigkeit können (müssen aber nicht) darauf hindeuten.

Sexueller Missbrauch von Kindern ist selbstverständlich strafbar. Führte der Missbrauch zu schweren körperlichen Verletzungen, ist mit einer Strafanzeige gegen den Täter (dem Vater) zu rechnen. Ist die Polizei oder Staatsanwaltschaft darüber informiert, ist ein Strafverfahren unausweichlich. Man sollte bedenken, dass ein Verfahren für das Kind sehr unangenehm ist. Ist der Vater der Täter, so kann auch ohne Verfahren einiges in die Wege geleitet werden: Stellt die Mutter einen Antrag, so kann das Familiengericht binnen Stunden den Auszug des Vaters aus der Wohnung anordnen. Die Mutter kann per Gerichtsbeschluss das alleinige Sorgerecht erhalten, wobei dem Vater sogar das Umgangsrecht aberkannt werden kann (Verdacht des fortgesetzten Missbrauchs). Eine rigorose und räumliche Trennung des Kindes von seinem Täter ist sofort einzuleiten.

Vorbeugung: Kindern beibringen, unter Umständen zu widersprechen, Autoritäten nicht blind gehorchen. Autoritäre Familienstrukturen begünstigen sexuellen Missbrauch. Autoritäten sind nicht grundsätzlich vertrauenswürdige Personen. Es ist wichtig, seine Bedürfnisse und Wünsche formulieren zu können. Werden bei Kindern dessen Bedürfnisse nach Nähe und Geborgenheit nicht genügend befriedigt, so besteht eine höhere Gefährdung hinsichtlich sexuellen Missbrauchs. Ablehnung muss selbstbewusst vorgetragen werden (klar und unmissverständlich). Prima ist es, wenn die Eltern dem Kind vorleben, wie man Wünsche klar äußert und Ablehnung kundtut.